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Kleiderkammer: „Es gehört dazu zuzuhören, wenn die Leute ihre Geschichten erzählen wollen“

In der Kleiderkammer Delitzsch treffen Menschen verschiedener Hintergründe aufeinander. Die Ehrenamtlichen spenden Gehör und tröstende Worte. Einen Vormittag lang schaute LVZ-Journalistin Clara Geilen im November den Beteiligten über die Schultern.

Der LVZ-Bericht in voller Länge:

Eine neue Mütze und einen Schal nimmt Christine mit. Auch noch einen warmen Pullover. Es ist kalt draußen. Die Delitzscherin kommt regelmäßig in die Kleiderkammer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in der Eilenburger Straße. Die Regale reichen bis zur Decke, in den Fächern entlang der zwei Gänge sind Schuhe, stapelweise gefaltete Shirts, Bettwäsche oder Handtücher präsentiert.

An der Eingangstür steht ein großer Tisch, an dem Spenden und Abgaben erfasst und gefaltet werden. Heute zeigt Christine beim Eintreten den Ehrenamtlichen gleich freudestrahlend ein neues Schreiben vom Jobcenter vor – eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Sie könnte bald eine solide bezahlte Stelle haben. Die beiden langjährigen Mitarbeiterinnen Monika Langanke und Heidi Koper freuen sich mit ihr.

Wer Spenden aus der Kleiderkammer in Anspruch nehmen will, muss eine Berechtigung vorzeigen – ein Schreiben vom Jobcenter oder den Rentenbescheid. Um genaue Summen geht es eher nicht. „Es ist immer reger Betrieb“, sagt DRK-Vorstand Jan Schweiger. Monatlich kommen im Schnitt 440 Bedürftige. Elf ältere Damen betreiben die Kammer tageweise ehrenamtlich. Asylbewerber, Rentnerinnen oder junge Eltern suchen hier nach kostenloser Kleidung.

Viele Bedürftige trauen sich nicht zur Kleiderkammer

Für viele ist das nicht einfach. „Es gibt so viele alleinstehende Rentner, die wenig Geld haben“, sagt Heidi Koper, die seit 2018 hier mitarbeitet. „Aber die trauen sich nicht, herzukommen.“ Doch es solle niemandem peinlich sein, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Oft würden sich Menschen auch als nicht ausreichend bedürftig wahrnehmen. Gabriele Prisille, die ab und an in der Kleiderkammer aushilft, erinnert sich: „Einmal habe ich eine ältere Dame auf der Straße gesehen, in einer viel zu dünnen Jacke. Ich habe sie eingehakt und ihr gesagt, dass wir in der Kleiderkammer etwas Schönes für sie finden werden.“ Die Dame hatte Bedenken – wollte niemandem etwas wegnehmen. Prisille konnte sie überzeugen. Die Frauen sagen: „Die Leute sollen kommen, wir haben genug.“

Doch die Arbeit in der Kleiderkammer und die Versorgungslage könnte sich drastisch ändern, sollte das DRK entscheiden, seine Altkleider-Container einzuziehen. An einigen Standorten in Delitzsch ist das schon passiert. Wegen Problemen mit Vandalismus und unsachgemäßem Gebrauch musste das DRK Torgau diesen Schritt schon gehen. Die Kleiderkammer Delitzsch bezieht momentan große Teile der Kleidung aus den Containern. „Sollte es dazu kommen, dass wir die Container einziehen, müssen wir eventuell Spendenaufrufe machen“, sagt Jan Schweiger.

Viele kommen aus Sprödaer Gemeinschaftsunterkunft

Zwei junge Männer kommen an, schüchtern lugen sie zunächst in den Raum. Sie sind zum ersten Mal in der Kleiderkammer und wollen sich nach Hosen und Schuhen umsehen. Momentan wohnen sie in Spröda, in der Gemeinschaftsunterkunft.

Normalerweise werfen die Gäste einen kleinen Betrag in die am Eingang bereitstehende Spendenbox, wenn sie etwas mitnehmen – der kommt dem DRK zugute. Diesmal winken die Damen die jungen Männer durch. Sie sind bei der Bekleidung nicht fündig geworden, haben nur ein Handtuch und Unterwäsche an sich genommen. „Wegen dem bisschen – beim nächsten Mal“, meint Heidi Koper. Die Männer bedanken sich und verlassen die Kammer, kommen aber kurz darauf nochmal zurück und werfen 1,40 Euro in die Dose. „Wir haben noch Geld gefunden“, sagt einer lachend.

Aber auch das Gegenteil begegnet den Mitarbeiterinnen immer mal wieder. Ein Mann geht Gabriele Prisille bis heute nicht aus dem Kopf. Er hatte vier volle Beutel dabei und fuhr die Ehrenamtlichen an: „Bilden Sie sich ein, dass ich Ihnen den Frühstückskaffee finanziere?“

Aber die netten Begegnungen überwiegen. Heute ist ein junger Mann hergekommen und hat Blumenzwiebeln als Geschenk für die DRK-Mitarbeiterinnen mitgebracht: „Rot und weiß, ich liebe Blumen“, sagt er in gebrochenem Deutsch. Er ist Afghane, lebt seit zwei Jahren in Deutschland und ist ebenfalls in Spröda untergekommen.

Kleiderspenden haben immer eine Geschichte

Genau wie die Menschen, die sich hier einkleiden wollen, haben die Sachen, die in der Kleiderkammer landen, immer eine Geschichte. „Mein Beileid“, sagt Monika Langanke und streichelt einer Frau den Arm, die einen Wäschekorb mit Männerkleidung dabei hat. Besonderes Fingerspitzengefühl ist erforderlich, wenn die Kleidung einem Verstorbenen gehört hat und die Spenderinnen und Spender damit ein Stückchen Abschied von einem geliebten Menschen nehmen. „Da gehört es auch dazu, zuzuhören, wenn die Leute ihre Geschichte erzählen wollen“, ordnet Prisille die Situation ein.

Viele Leute sind allein – das haben mancher Spender und mancher Bedürftiger gemeinsam. In der Kammer kommen Menschen verschiedenster Herkunft und Altersgruppen zusammen. Auch Mitarbeiterin Heidi Koper sagt, dass sie zur Kleiderkammer kam, weil sie nach dem Tod ihres Mannes eine Aufgabe gesucht habe. „Wir schwatzen gern“, sagt ihre Stammkollegin Monika Langanke. „Die Arbeit hier macht uns Spaß.“

Gewaschen und gebügelt ist die nächste Kleiderspende, alles ist sorgfältig in Säcken verpackt. Das freut die Damen, die sich gleich ans Sortieren machen. Wie es die Spender bringen, werden die Stücke weitergegeben. Die Kapazitäten zu reinigen hat die Kleiderkammer nicht: Riechende oder verschmutzte Kleidung muss entsorgt werden. Etwa 20 bis 30 Prozent sortieren sie aus, schätzen sie. Alles, was nicht benötigt wird, geht nach Wolfen – in die Sortieranlage.

Viel Platz im Lager gibt es nicht. Deshalb freuen sich die Damen, wenn die gespendete Kleidung der Jahreszeit entspricht – weggeschickt wird aber niemand. Haushaltsgegenstände und Spielzeug werden eigentlich nicht angenommen, finden aber häufig noch Platz in einer der Verschenkekisten vor der Kammertür und von dort aus meistens rasch einen neuen Besitzer.

„Manchmal sind sogar die Preisschilder noch dran“

Auch gesellschaftliche Trends und Konsumverhalten werden in der kleinen Kleiderkammer sichtbar. „Oft bringen die Leute auch nagelneue Sachen. Manchmal sind sogar die Preisschilder noch dran“, berichtet Heidi Koper. Die drei Mitarbeiterinnen erfreuen sich an winziger Babykleidung, die eine junge Mutter nebst Erstausstattung und Spielzeug vorbeigebracht hat.

„Alles Markensachen“, staunen sie. Ein kleines Mädchen, das mit ihrer Oma hier ist, darf sich gleich ein Spielzeug aus der eben eingetroffenen Kiste aussuchen. Das ist der Lauf der Dinge, der hier im Kleinen seinen Kreis zieht.

Dazu gibt es immer noch ein nettes Wort. Heidi Koper und Monika Langanke wünschen Christine viel Erfolg bei der Bewerbung um den neuen Job. Und Christine möchte die Damen zu sich zum Kaffee einladen – dann könnten sie auch die Einrichtung bestaunen: die Gardinen, Dekoartikel oder Tischtücher. Natürlich aus der Delitzscher Kleiderkamme

Text und Foto: Clara Geilen, Leipziger Volkszeitung vom 01.12.2025, „Es gehört dazu zuzuhören, wenn die Leute ihre Geschichten erzählen wollen“

Bildunterschrift: Heidi Koper (v. l.) und Monika Langanke sind langjährige Ehrenamtliche in der DRK-Kleiderkammer in Delitzsch. Christine ist regelmäßig zu Gast.

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